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Safety first: Blindflug ist keine Management-Option

10. April 2024

Warum gute Sicht für Führungskräfte unverzichtbar ist

Bild oben: Sichtweiten in Metern an unterschiedlichen Messstationen; "clear" bedeutet mehr als 20.000 Meter bzw. 20 Kilometer

Marketing stochert wieder einmal im "Nebel”, weil sie keine Ahnung haben, warum die neue Produktlinie nicht läuft. Der Vorstand operiert ohnehin seit Jahren schon im “Blindflug”. Alles in allem echt “trübe" "Aussichten”…


Auch die Sichtweite findet sich als Konstrukt in unserem sprachlichen Alltag wieder. Sehr häufig sogar. Aber warum ist die Sichtweite ganz offensichtlich so wichtig und welche Parallelen zwischen dem Wetter und dem Unternehmen kann man ziehen? Darum wird es in diesem Beitrag gehen.


Die Sichtweite als weitere Zustandsbeschreibung der Atmosphäre


Die Sichtweite ist eine weitere Kategorie, mit der sich der Zustand der Atmosphäre beschreiben lässt. So wie Wind, Niederschlag oder Temperatur auch. Ähnlich wie schon im Blogbeitrag zum Wind angesprochen, ist den Meteorolog:innen ein schlichtes “die Sichtweite” natürlich viel zu undifferenziert, weshalb es auch hier eine ganze Reihe von Sichtweiten gibt, mit denen man sich auseinandersetzt.


Die spannende Frage ist, warum die Sichtweite eigentlich variiert. Also warum man nicht unendlich weit sehen kann, von der Erdkrümmung einmal abgesehen. Der Grund ist eigentlich ganz einfach, denn zwischen uns und der Unendlichkeit liegt immer irgendetwas dazwischen, das uns die Sicht mehr oder weniger versperrt. Das leuchtet uns bei Nebel, Regen und Schnee ja durchaus noch ein. Aber warum kann die Sicht auch ohne Nebel oder Niederschlag ganz offensichtlich “getrübt” sein?


Nun ja, auch ohne dass wir ein eindeutiges Sichthindernis erkennen können, stellt sich uns etwas in den Weg. Feuchtigkeit hauptsächlich. Diese feinsten Wassertröpfchen streuen das Licht und verderben uns die klare Sicht. Und je höher die Feuchtigkeit, desto mehr streut das Licht, desto weniger sehen wir. Sehr, sehr schön hier beim Thema Dunst erklärt.


“Auf Sicht fliegen” ist in der Luftfahrt nicht negativ besetzt


Woher kommt also nun die herausragende Bedeutung der Sichtweite als Zustandskriterium? Ich denke, es leuchtet ein, dass es sich umso entspannter durch die Atmosphäre reisen (fliegen, fahren, schwimmen) lässt, je besser die Sicht ist. Hindernisse werden zuverlässiger erkannt (“Massenkarambolage im Nebel auf der A irgendwas”), das Konzentrieren fällt einem nicht so schwer. Aus diesem Grund unterscheidet man in der Fliegerei auch Sichtflugbedingungen (VMC - Visual Meteorological Conditions) von Instrumentenflugbedingungen (IMC - Instrument Meteorological Conditions). Die Anforderungen an Mensch und Maschine sind bei VMC deutlich niedriger angesetzt als bei IMC. Eben weil die äußeren Bedingungen deutlich unkritischer sind. Wer sich nicht so richtig vorstellen kann, wie gefährlich ein Sichtverlust in der Fliegerei sein kann, möge sich zur Sensibilisierung dieses Video hier ansehen: 178 Seconds to Live.


Demzufolge ist “auf Sicht fliegen” in der Luftfahrt auch nicht negativ besetzt. Ganz im Gegensatz zu unserem sprachlichen Alltag. Wer “nur auf Sicht” fliegt, hat keinen langfristigen Plan. Wer “nur auf Sicht” fliegt, ist getrieben von den äußeren Umständen. Wer “nur auf Sicht” fliegt, reagiert passiv und agiert nicht aktiv. Kurzum, so darf Führung nicht sein. Bedenken müssen wir jedoch, dass wir die Metapher hier anders verstehen sollten. Nämlich positiv. Je besser die Sicht, desto besser für Unternehmen und Mitarbeitende. Aus den oben genannten und 1:1 übertragbaren Gründen, was Hindernisfreiheit und Konzentration angeht.


Führungskräfte haben keine Blindfluginstrumente


Im Gegensatz zu professionell ausgebildeten Pilot:innen haben Führungskräfte keine Blindfluginstrumentierung, die sie nutzen können. Ein Sichtverlust führt in der Unternehmensführung also ebenso zu vermehrtem Stress, zu schlechten Entscheidungen und möglicherweise sogar zu Panikreaktionen, wie es in der Fliegerei beim ungeplanten Einflug in Wolken der Fall ist. Es ist demzufolge ganz entscheidend, immer orientiert zu sein, die Lage im Raum zu kennen und genügend Sicht nach vorne zu haben, um den bestmöglichen Weg für das Unternehmen/den Bereich/die Abteilung/das Team einschlagen zu können.


An dieser Stelle ist wieder eine ordentliche Portion Transferleistung gefragt: Wie lässt sich denn die Sichtweite als Führungskraft erhöhen? Was kann ich tun, wenn ich in die eine oder andere Richtung nicht weit sehen kann? Wer oder was kann mir dabei helfen? Wie kann ich die Situation im wörtlichen Sinne aufklaren lassen? Es gibt viele Möglichkeiten, als Unternehmer:in und Führungskraft besser zu sehen. Sprechen Sie doch im ersten Schritt einmal mit Ihren Mitarbeitenden über diese Frage. Sie werden erstaunt sein, welchen Unterschied viele Augen beim Betrachten einer Situation machen können.


“Klare Sicht” als strategisches Ziel


Um zumindest für diesen Blogbeitrag eine Schlussfolgerung zu ziehen: Klare Sicht muss ein strategisches Ziel sein. Nur wer “ungetrübt” seinen Weg verfolgen kann, wird sicher dahin kommen, wo er hin möchte. Bringen Sie sich und Ihre Crew nicht unnötig in Gefahr. “Wird schon gutgehen” ist ein denkbar schlechter Ratgeber. Im Cockpit und im Chefsessel. Die Sicherheit muss auch für Führungskräfte oberste Priorität haben. Und damit ist die Sicherheit des Gesamtsystems gemeint. Dieses darf seine Existenz und damit die Existenz aller Beteiligten nicht aufs Spiel setzen. Sehr wohl darf es jedoch kalkulierte Risiken eingehen. Es muss nicht immer zu 100 % gemütlich sein. Über Turbulenzen habe ich an dieser Stelle auch schon geschrieben. Es muss nicht immer alles perfekt laufen. Ein Testballon darf auch einmal platzen. Daraus lässt sich ganz wunderbar lernen. Wichtig ist nur, dies alles immer mit dem nötigen Weitblick zu tun…


Mit heiteren Grüßen,


Michael Wohlstein

Organisationsmeteorologe

*zum Thema "Flat Earth Theory" sei dringend der YouTube-Kanal von Dave McKeegan empfohlen - sehr amüsant!

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