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"Ganz schön viel Wind da oben": Porter, Kotter und der Jetstream

10. Juni 2024

Wie uns die Verhältnisse in der obersten Etage beeinflussen und was das für das Veränderungsmanagement bedeutet

Bild oben: Jetstream (250 hPa) vom 13.05.2024

Dass der Blick aufs große Ganze nicht nur in der klassischen Meteorologie lohnenswert ist, habe ich in dem Blog-Beitrag zur "Synoptik" bereits ausgeführt. Heute möchte ich auf ein ganz spezielles Phänomen eingehen, welches man eigentlich nur auf der synoptischen Skala gut erkennen kann und das ganz wesentlichen Einfluss auf das Wettergeschehen hat: Der Jetstream – die übergeordnete Strömung schlechthin.


Mit Rückenwind geht’s deutlich schneller – beim Fliegen und im Konzern


Wer sich schon immer gewundert hat, warum der Rückflug von Amerika nicht nur gefühlt meist deutlich kürzer ist als der Hinflug, braucht sich ab jetzt nicht mehr wundern, sondern darf den ausgeprägten Starkwindbändern in der oberen Troposphäre (also dort, wo sich Airliner üblicherweise während des Reiseflugs aufhalten) danken. Mit stellenweise extremen Windgeschwindigkeiten von bis über 100 m/s oder 360 km/h stellen diese Jetstreams die schnellsten Winde dar, die wir in unserer irdischen Atmosphäre haben. Dass Temperaturunterschiede die Ursache für den Wind an sich darstellen, wurde im Blog-Beitrag über den Wind erläutert. Und wer jetzt von hinten nach vorne denkt, schlussfolgert richtigerweise, dass sehr starke Temperaturunterschiede für diese starken Winde verantwortlich sein müssen. An der sogenannten Polarfront treffen nämlich – etwas vereinfacht – die warmen Luftmassen vom Äquator auf die kalten Luftmassen der Polarregionen. Dieser extreme Temperaturunterschied muss ausgeglichen werden, was zu eben diesen starken Winden führt. Und da die Temperaturunterschiede der beiden Luftmassen in der Höhe besonders stark sind, bildet sich eben genau hier oben ein sehr starker Druckgradient aus, der durch den starken Wind ausgeglichen wird.


Beim Gedanken an (externe) Kräfte mit sehr viel Einfluss musste ich mit elegantem Schwenk in die Betriebswirtschaftslehre recht schnell an Michael E. Porter denken, der mit seinem Fünf-Kräfte-Modell ganzen Generationen an BWL-Studierenden bereits sehr früh im Studium über den Weg gelaufen ist. Aber nicht nur außerhalb einer Organisation finde ich die Parallele zu den Jetstreams absolut passend, auch innerhalb einer Organisation gibt es erstaunliche Ähnlichkeiten, zu denen ich im nächsten Schritt kommen möchte.


Ganz schön viel Wind da oben


Dass “da oben” oftmals “ganz schön viel Wind gemacht” wird, ist für jede und jeden vor allem im Konzern selbsterklärend. Diese Überleitung ist wie ein Elfmeter ohne Torwart. Den muss man einfach verwandeln. ;-) Auch im Unternehmen lohnt sich ein Blick auf die übergeordneten Strömungen, um das Wetter vor Ort zu verstehen – und schließlich zu managen, was in der Organisations-Meteorologie im Gegensatz zum echten Wetter ja möglich ist. Wenn das Temperaturgefälle auf der Vorstandsetage signifikant ist, wird sich das auch in deutlichen Strömungen bemerkbar machen. Schließlich muss ein Ausgleich herbeigeführt werden und der äußert sich dann als “Luftmassentransport” in Form einer Verschiebung von Aufmerksamkeit und damit nachgelagerter Ressourcen wie Budget und Personal. An dieser Stelle darf der Bezug zu John P. Kotter hergestellt werden, der ganz klar die Bedeutung der fokussierten Aufmerksamkeit von Führungskräften auf wichtige Veränderungsinitiativen dargelegt hat (vgl. seine 8 Steps for Leading Change).


Eine gute Strategie sorgt für eine stabile Strömung


Aber nicht nur diese Parallele zwischen klassischer Meteorologie und Organisations-Meteorologie ist interessant. Es gibt eine weitere Eigenschaft der Jetstreams, die den Vergleich mit den Geschehnissen auf oberster Management-Ebene geradezu aufzwängt: Jetstreams sind im Vergleich zu anderen Wetterphänomenen sehr verlässlich und über mehrere Tage hinweg stabil*. Das lässt sich gut mit der strategischen Orientierung der obersten Führungsebene beschreiben, die sich hoffentlich nicht ständig und kurzzeitig ändert. Im Zuge der Klimakrise nimmt die Stabilität der Jetstreams im Übrigen sogar zu, was zu weniger Wetterwechseln und dadurch zum Beispiel auch zu längeren Hitzeperioden führt. Bei Krisen im Unternehmen ist jedoch meist das Gegenteil der Fall. Dann werden Strategien geändert wie die sprichwörtliche Unterwäsche, denn irgendwas muss man als Chef:in ja schließlich machen. #panikreaktion


Der heftige Wind da oben ist auch der Grund, warum Hoch- und Tiefdruckgebiete sich verlagern und damit das Wettergeschehen in unterschiedliche Regionen tragen. Auch das ist nicht gänzlich unbekannt aus dem Konzernumfeld, siehe oben. Dort ist es der Vorstand, der Projekte, Aufgaben etc. in die Bereiche A, B und C trägt. Demzufolge ist es natürlich schon von Bedeutung zu verstehen, welche übergeordneten Strömungen in der Organisation existieren und wie sich diese wohl entwickeln werden. Es kann nämlich am Rande dieser Starkwindfelder ganz schön turbulent und ungemütlich zugehen. Wohl dem, der nicht gerade mittendrin steckt, wenn sich eine Front an den Budgetgrenzen im Vorstand aufgebaut hat…


Divergenz oder Konvergenz – für das Wetter auch im Unternehmen maßgeblich entscheidend


Um es etwas vereinfacht zu beschreiben, führt der Jetstream auch dazu, dass sich Zonen zusammenfließender Luft (Konvergenz) und Zonen auseinanderfließender Luft (Divergenz) ausbilden. Diese ist für das Wettergeschehen insofern von zentraler Bedeutung, als in der Höhe zusammenfließende Luft zu Absinkbewegungen führt, denn die Luft muss an dieser Stelle dann irgendwo hin und das geht an der Grenze zur Stratosphäre nur nach unten**. Dieses Absinken führt dazu, dass sich Wolken auflösen und uns einen blauen Himmel bescheren. Wieder in die Organisation übertragen lautet die Schlussfolgerung, dass, wenn das Top-Management sich einig ist (Konvergenz), im Unternehmen ziemlich sicher gutes Wetter herrscht. Es kann manchmal so einfach sein.


Es sind also die heftigen Strömungen in der obersten Etage, die die Geschehnisse über weite Regionen hinweg bestimmen. Demzufolge sollten diese immer ganz besonders im Blick behalten werden. Die Satellitenperspektive ist daher der Beginn einer jeden Wetteranalyse. Mit dem Verständnis der auf oberster Ebene vorherrschenden Windrichtung, der Verteilung von Druckgebieten, die diversen Zusammen- und Auseinanderflüsse und die mäandernden Fronten (vgl. Trog) lassen sich schon sehr zuverlässige Aussagen über die Auswirkungen und mögliche kommende Entwicklungen treffen. Das ist in der Unternehmenswetterkunde dasselbe Prinzip wie in der klassischen Meteorologie.


In diesem Sinne wünsche ich Ihnen für Ihre Vorhaben ganz viel Rückenwind!


Mit heiteren Grüßen,


Michael Wohlstein

Organisationsmeteorologe

*Sollte dies auf Ihr Top-Management nicht zutreffen, bitte sofort die Flucht ergreifen!

**Da die Temperatur ab der Tropopause mit der Höhe wieder zunimmt, kann ein Luftpaket an dieser signifikanten Grenze nicht weiter aufsteigen.

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