Bild oben: Beispiel für eine synoptische Wetterkarte - die Luftdruckverteilung über Mitteleuropa
Lokale Ereignisse werden von übergeordneten Prozessen beeinflusst. Das betrifft die Atmosphäre ebenso wie das Unternehmen. Demzufolge ist es in beiden Fällen wichtig zu wissen, was “da oben” so alles passiert. Um zu verstehen, welche Relevanz die Betrachtung des “da oben” hat, muss man sich der unterschiedlichen Größenordnungen bewusst sein, in denen man sich in der Meteorologie bewegen kann. Lassen Sie mich das daher an dieser Stelle erläutern:
In der klassischen Meteorologie macht man sich bei der Betrachtung raumzeitlich unterschiedliche Skalen zunutze, um atmosphärische Phänomene zu beschreiben. Es gibt die Mikroskala (kurze Lebensdauer und bis etwa 1 Kilometer Ausdehnung), auf der sich sehr kleinräumige Begebenheiten abspielen, wie beispielsweise die im Frühjahr und Sommer so beliebten Cumuluswolken, auch Schönwetterwolken oder Schäfchenwolken genannt. Im Unternehmen wäre eine “kurzfristige, kleinräumige Betrachtung” zum Beispiel die Analyse eines Teammeetings.
Von der Mesoskala (mittelfristige Lebensdauer und bis etwa 1.000 Kilometer Ausdehnung) spricht man, wenn man sich Niederschlagsbänder oder lokale/regionale Windsysteme ansieht. Übertragen ins Unternehmen wäre das die Betrachtung der Zusammenarbeit von Abteilungen.
Für uns und diesen Blog-Beitrag entscheidend ist die synoptische Skala (langfristige Lebensdauer und mit einer Ausdehnung von etwa 1.000 bis 10.000 Kilometern). Sie ist relevant, will man Hoch- und Tiefdruckgebiete, Jetstreams oder Frontensysteme untersuchen bzw. beschreiben. Im Unternehmen wäre dies die Betrachtung der Neustrukturierung von Geschäftsbereichen oder sogar der gesamten Firma.
In der Meteorologie wird man sich für die Erstellung einer Vorhersage oder für die Betrachtung der Wetterlage systematisch von der synoptischen Skala (großräumig) weiter nach unten (kleinräumig) arbeiten. Erst wenn man weiß, wo die jeweiligen Druckgebilde liegen oder wie die großräumigen Temperaturverläufe sind, kann man sich zu den wahrscheinlichen Auswirkungen an einem bestimmten Ort Gedanken machen. Eine sehr beliebte synoptische Karte ist die der aktuellen Luftdruckverteilung. Diese lässt einen u. a. sehr schnell erkennen, woher und wie stark die Winde jeweils wehen. Um es kurz zu machen und etwas zu vereinfachen: Um ein Tiefdruckgebiet weht der Wind gegen den Uhrzeigersinn, um ein Hochdruckgebiet weht der Wind im Uhrzeigersinn. Zumindest auf der Nordhalbkugel. Untenrum (auf der Südhalbkugel) ist es genau andersrum. Und je enger die Isobaren beieinanderliegen, desto stärker weht der Wind. Nun wollen wir uns aber nicht zu sehr darin verlieren, sondern lieber wieder die spannenden Parallelen zum Unternehmen ziehen.
Auch im Unternehmen sollte man den Blick zuerst einmal darauf richten, was “im großen Ganzen” passiert. Wo liegen die unterschiedlichen “Wettergebiete”, im Sinne von übergeordneten Themen? Wer und was wird von wo beeinflusst? Welche langfristigen Trends gab und gibt es? Im nächsten Schritt kann man dann basierend auf bekannten Gesetzmäßigkeiten mögliche Auswirkungen nach unten und in die Zukunft prognostizieren. Das kann in manchen Fällen relativ leicht fallen und mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden. Die Aufgabe eines bestimmten Markt- oder Produktsegments wird in der Folge einen Abgang damit vertrauter Mitarbeiter:innen zur Folge haben. Und ich spreche hierbei überhaupt nicht von Entlassungen, sondern davon, dass Menschen sich und ihre Themen nicht gerne abgewertet sehen und daraus sicherlich Konsequenzen ziehen werden. Externe oder interne Kündigung zum Beispiel.
Die Meteorologie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von einer rein beobachtenden Naturwissenschaft in ein mathematisch-physikalisches Spezialgebiet weiterentwickelt. Supercomputer werden mittlerweile mit einer schier unüberschaubaren Menge an Daten gefüttert, unterschiedlichste Wettermodelle (hier jene des Deutschen Wetterdienstes - DWD) kalkulieren basierend auf den Eingaben mögliche weitere Entwicklungen und am Ende kann man sich sicher sein, dass es ganz genau so nicht kommen wird. Also nicht zu 100 %. Das kann jeder nachvollziehen, der schon einmal etwas von Chaostheorie oder vom berühmten Schmetterlingseffekt gehört hat. Beides sehr schön hier in diesem Video erklärt.
Wir müssen also festhalten, dass man trotz aller Berechenbarkeit, welche die Meteorologie als mathematische Naturwissenschaft ausmacht, niemals alles exakt vorhersehen kann. Wie kompliziert ist dies dann erst in einem System, welches sich nicht deterministisch verhält, (noch) nicht mit Formeln beschrieben werden kann und dessen Gleichungen sich nicht mit Supercomputern lösen lassen - also in einer von Menschen geprägten Organisation? Es ist sehr schwierig, aber nicht unmöglich. Denn es geht immer um Wahrscheinlichkeiten. Wäre ich in der Lage, beim Roulette mit 51 % Wahrscheinlichkeit die richtige Farbe vorherzusagen, würde ich sofort mit dem Spielen beginnen, denn langfristig würde ich definitiv Gewinn machen.
Es geht also weder in der klassischen Meteorologie noch in der Organisations-Meteorologie darum, alles exakt zu 100 % prognostizieren zu können. Dieses Ziel wird man niemals erreichen, weil man niemals den Ausgangszustand zu 100 % erfassen kann. Es geht darum, mit einer möglichst großen Wahrscheinlichkeit vorherzusagen, was wohl geschehen wird. Denn selbst wenn man (ein paar) Mal falsch liegt, wird man langfristig und daher im Gesamtergebnis richtig liegen. Im Unternehmen bedeutet dies, möglichst viele der richtigen Daten (Input) zur Verfügung zu haben, um ein mit hoher Wahrscheinlichkeit richtiges Ergebnis (Output) prognostizieren zu können.
Auch wenn dies in einem von “unberechenbaren Menschen” definierten System - dem Unternehmen - noch mal deutlich schwieriger ist als in der “berechenbaren Natur”, gibt es eine ganz wichtige Gemeinsamkeit beider Welten - der Blick aufs große Ganze ist ganz entscheidend für die Zukunft.
Mit heiteren Grüßen,
Michael Wohlstein
Organisationsmeteorologe
*Die "0" sorgt beim Roulette dafür, dass in der Realität langfristig nur die Bank Gewinn macht, denn die Chance auf Rot bzw. liegt durch die "0" jeweils knapp unter 50%, also anders als in diesem ansonsten tollen Video beschrieben
Copyright © Alle Rechte vorbehalten. | Wetterkarten und Satellitenbilder mit freundlicher Genehmigung der meteoblue AG.
🌀 Gesellschaft für Organisationsmeteorologie mbH | Nibelungenstraße 4 | 89518 Heidenheim an der Brenz
Amtsgericht Ulm HRB 747092