Bild oben: Signifikante "Clear Air Turbulence" über der Mitte und dem Süden Deutschlands sowie angrenzenden Regionen
Es ist nicht immer alles ruhig, weder in der Atmosphäre noch im Unternehmen. Genau genommen ist „ruhige Luft“ sogar eine ziemliche Ausnahme und irgendwie auch langweilig – abgesehen von den dann total entspannten abendlichen Flügen zurück zu seinem Heimatflugplatz. Schauen wir uns doch einmal an, was Turbulenzen verursacht und wie wir damit umgehen sollten.
Die Atmosphäre befindet sich im hydrostatischen Gleichgewicht. Das bedeutet, dass sich in der Luft (so wie auch im Wasser) nach unten gerichtete Kräfte (Gravitation) und nach oben gerichtete Kräfte (Auftrieb) gegenseitig ausgleichen. Interessanterweise haben Taucher meines Wissens nach noch nie etwas von „Wasserlöchern“ (nein, nicht die in der Wüste) berichtet, selbst wenn es bei der Suche nach dem Schatz im gesunkenen Wrack mal etwas Auf und Ab ging. Das berühmte „Luftloch“ ist jedoch weithin bekannt, wenngleich es – sofern wörtlich verstanden – nur ein Mythos ist.
Luft ist ein Gas(gemisch) und nimmt als solches den größtmöglichen verfügbaren Raum ein, so wie Gase dies nun einmal tun. Ebenso wie unbeaufsichtigte Kinder, aber das nur am Rande. Diese Verteilung erfolgt gleichmäßig, weshalb eine Stelle ohne (oder mit deutlich weniger) Gas – also ein „Loch“ in der Luft – physikalisch unmöglich ist. Was mit dem „Luftloch“ beschrieben wird, ist nichts anderes als eine kleinräumige vertikale oder horizontale Strömung, die das Flugzeug in seiner Position und/oder Lage ändert, was wiederum den Gemütszustand so mancher Passagiere beeinflusst.
Wie können nun solche Strömungen, die uns den ruhigen Flug verderben, entstehen? Es gibt mehrere Gründe, die sich in ihrer Intensität deutlich unterscheiden. Zum einen gibt es die durch Thermik hervorgerufenen vertikalen Strömungen, in denen sich zum Beispiel Segelflugzeuge und Mäusebussarde bis zu ein paar Tausend Meter in die Höhe schrauben können. Die durch Thermik verursachten Turbulenzen sind in der Regel recht überschaubar und äußern sich höchstens durch signifikantes Gewackel, ohne das Flugzeug (oder den Mäusebussard) völlig aus dem Konzept zu bringen. Deutlich spürbarer sind hingegen Verwirbelungen, die durch unterschiedliche Windgeschwindigkeiten in verschiedenen Höhen hervorgerufen werden. In diesem Fall spricht man von Clear Air Turbulence (siehe Bild oben) und darauf hat wirklich niemand Lust, auch wenn deren Entstehung wirklich spannend ist.
Wer schon einmal aufmerksam einen Bach- oder Flusslauf beobachtet hat, dem ist vielleicht aufgefallen, dass am Rande der Strömung (in diesem Fall horizontal gelegene) Wirbel entstehen. Grund dafür ist der Massenausgleich, den das Wasser ausführen muss, da die Strömung in der Mitte des Flusses (oder des Baches) deutlich schneller ist als am Rand. Zu viel Wasser würde in der Mitte wegtransportiert, ein „Loch“ darf (siehe oben) nicht entstehen und daher wirbelt ein Teil des Wassers wieder zurück. In der Luft ist das ganz genau so, nur in der Regel vertikal. Von Tornados sehen wir an dieser Stelle einmal ab. Wer so richtig tief in die Materie einsteigen möchte, dem sei diese Seite zum Thema Vorticity* empfohlen.
An dieser Stelle können wir aber wunderbar ins Unternehmen blicken. Auch hier wird ein Großteil der Verwirbelungen durch unterschiedliche Geschwindigkeiten verursacht. Der Vorstand ist mal wieder schneller als das mittlere Management und schon gibt es Turbulenzen, weil irgendwie ein Ausgleich stattfinden muss. Ja, so einfach kann es manchmal sein.
Welcher Umgang empfiehlt sich nun für turbulente Bedingungen? Zunächst einmal gilt wie immer „Ruhe bewahren!“. Sollte man wirklich von Turbulenzen überrascht werden (was war eigentlich mit der Flugvorbereitung?), gilt der alte Fliegerdreiklang „Aviate – Navigate – Communicate“. Also zuerst einmal das Flugzeug fliegen, alles andere kommt danach. Und da es (siehe oben) keine Luftlöcher gibt, hat man immer genug Luft um Trag- und Steuerflächen herum und kann somit reagieren. In der Fliegerei spricht man davon, das Flugzeug zunächst einfach mal selber machen zu lassen. Das bedeutet nicht „Hände weg vom Knüppel“ und das Beste hoffen, sondern es bedeutet, das Flugzeug in der sich bewegenden Luft mitschwimmen zu lassen und nicht wie verrückt dagegen anzukämpfen.
Und das Mitschwimmen – oder Mitschwingen – ist meiner Überzeugung nach auch eine sehr gute Empfehlung für den Umgang mit Turbulenzen im Unternehmen. Sich der Situation nicht ergeben, aber auch nicht panisch dagegen ankämpfen. Neugierig beobachten, was da passiert und natürlich auch das eigene Verhalten daran anpassen. Dies aber immer mit Bedacht, möglichst ruhig und immer mit dem Ziel, sicher weiterfliegen zu können.
Wie immer gibt es zu jeder Regel eine Ausnahme: Bei unmittelbarer Bedrohung für die eigene Sicherheit muss man natürlich auch mal extrem reagieren. Das gilt in der Fliegerei ebenso wie im Unternehmen. Sich selbst eine radikale Kurskorrektur zu verordnen, ist mehr als angeraten, bevor einem die Turbulenzen die eigene Gesundheit ruinieren. Das kann auch bedeuten, proaktiv den Gefährdungszonen konsequent auszuweichen. Wäre es nicht schön, wenn es dafür auch so eine Turbulenzen-Karte gäbe**?
Mit heiteren Grüßen,
Michael Wohlstein
Organisationsmeteorologe
*Vortex ist lateinisch für Wirbel und Vorticity ist damit nichts anderes als eine Beschreibung "wie sehr sich etwas dreht". Triggerwarnung: Die Mathematik dazu ist wieder einmal ein absolutes Nerd-Thema
**gibt es, solche Karten kann man auch für Organisationen erstellen
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